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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: 6 U 154/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 707 | |
ZPO § 719 |
2. Ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller zu lange abwartet, bis er die einstweilige Verfügung beantragt (Selbstwiderlegung).
Oberlandesgericht Rostock Beschluss
In dem Verfügungsverfahren
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 08.11.2007 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag vom 31.10.2007, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Tenor zu 1) des Urteils des Landgerichts Neubrandenburg vom 25.10.2007, Az.: 2 O 111/07, ohne oder gegen Sicherheitsleistung anzuordnen, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der zulässige Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung der mit dem angefochtenen Urteil ergangenen einstweiligen Verfügung ist - sowohl zum Hauptantrag (Ziff. 1) wie zum Hilfsantrag (Ziff. 2), also unbeschadet davon, ob die Einstellung ohne oder gegen Sicherheitsleistung anzuordnen wäre - unbegründet.
1.
Grundsätzlich ist auch bei einer im Wege des Urteils erlassenen einstweiligen Verfügung - wie hier - eine Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. §§ 719, 707 ZPO zulässig. Das gilt jedoch nur in "extremen Ausnahmefällen" (OLG Frankfurt/M., JurBüro 1992, 1996), also nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen (vgl. OLG Frankfurt/M., MDR 1983, 585; MDR 1997, 393; OLG Stuttgart, WRP 1983, 242; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 719 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 719 Rn. 3, jeweils m.w.N.). Der Grund für diese hohen von der Rechtsprechung gesetzten Voraussetzungen liegt darin, dass das Eilverfahren nur vorläufige Regelungen enthält und auf Grund einer kursorischen Prüfung abgeschlossen wird. Der Charakter dieser vorläufigen Regelung würde unterlaufen, wenn die - noch vordergründigere - Prüfung im Verfahren auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei bloßen Zweifeln gegenüber dem erlassenen Verbot dazu führen könnte, eine einstweilige Regelung außer Kraft zu setzen (vgl. OLG Frankfurt/M., JurBüro 1992, 196). Der Berufungskläger kann im Verfügungsverfahren mit einer alsbaldigen Verhandlung und Entscheidung über sein Rechtsmittel rechnen. Da dem Verfügungskläger nach dem Gesetz außerdem die Vollziehung der erwirkten einstweiligen Verfügung offenbar erleichtert werden soll (vgl. § 929 Abs. 1 ZPO), muss der Verfügungsbeklagte den Vollzug - von Ausnahmefällen abgesehen - bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Eilverfahren hinnehmen (OLG Frankfurt/M., MDR 1993, 585). Solche Ausnahmefälle können dann gegeben sein, wenn bereits feststeht, dass das Urteil aufzuheben ist oder die fehlende Dringlichkeit glaubhaft gemacht ist (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., KG, NJW-RR 1998, 1381; OLG Frankfurt/M., MDR 1997, 393; OLG Köln GRUR 1982, 504).
2.
Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten im hier streitgegenständlichen Fall nicht vor.
a)
Die Verfügungsbeklagte meint, das Urteil des Landgerichts leide an evidenten Fehlern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten ließen, dass der klägerische Antrag in der Berufungsinstanz zurückzuweisen sein werde. Sie beruft sich hierzu auf andere in Parallelverfahren - vor dem Landgericht Berlin - ergangene Entscheidungen, mit denen strukturell ähnlich gelagerte Anträge, wie sie die Verfügungsklägerin gestellt habe, zurückgewiesen wurden, sowie insbesondere darauf, dass eines dieser Urteile von der Handelskammer 91 des LG Berlin stammt, eben jenem Gericht, auf welches das Landgericht im hier angefochtenen Urteil seine Rechtsauffassung von der fehlenden Glaubhaftmachung eines Treuhandverhältnisses entscheidend gestützt habe, wobei das LG Berlin in der im hiesigen Rechtsstreit vorgelegten Entscheidung seine Auffassung geändert und nunmehr auch von dem Abschluss eines Treuhandvertrages ausgehe.
Indes fordert gerade diese Frage eines begründeten oder fehlenden Treuhandverhältnisses zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und seinem Vater, wie die detaillierte und umfangreiche Argumentation der Beklagten verdeutlich, eine gründliche Prüfung, die im Verfahren gem. §§ 707, 719 ZPO nicht abschließend vorzunehmen ist. Insbesondere lässt sich nicht ohne weiteres die Feststellung treffen, das Landgericht habe ohne Zweifel falsch entschieden. Das ergibt sich schon daraus, das gerade der Meinungswechsel bei der angeführten Handelskammer 91 des LG Berlin zum Bestehen eines Treuhandvertrages den Schluss darauf zulässt, dass in diesem Punkte unterschiedliche Ansichten - in die eine, wie die andere Richtung - vertretbar sind.
Ist jedoch möglicherweise - mit dem Landgericht - von der fehlenden Begründung eines Treuhandverhältnisses zwischen A und H M, bezogen auf die Geschäftsanteile an der AMKF, auszugehen, so trägt die Ansicht des Gerichts erster Instanz, dass der Klägerin ein Verfügungsanspruch auf Herausgabe des Besitzes aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zusteht. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bzw. einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO - wird die Verfügungsbeklagte deshalb, wie vom Gesetz vorgesehen, die einstweilige Verfügung zu beachten haben.
b)
Nicht zu überzeugen vermag weiter, wenn die Beklagte ausführt, das Landgericht sei in der angefochtenen Entscheidung von der unzutreffenden Annahme eines Verfügungsgrundes ausgegangen, da seine Erwägungen zur Selbstwiderlegung der Klägerin bezüglich ihres Dringlichkeitsinteresses auf offensichtlich unzutreffenden Prämissen gestützt worden seien.
aa)
Zwar ist - wie die Beklagte anführt - allgemein anerkannt, dass ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller trotz eines ursprünglich bestehenden Regelungsbedürfnisses zu lange zugewartet hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 940 Rn. 4 a.E.; OLG München, FamRZ 1996, 1411; KG, NJW-RR 2001, 1202; OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1236; OLG Frankfurt/M., NJW 1985, 1295; KG, MDR 1994, 1012; sogen. "Selbstwiderlegung").
bb)
Ausweislich des (unangefochtenen) Tatbestandes, der infolge seiner Beweiskraft zur Entscheidungsgrundlage für das Rechtsmittelgericht wird (vgl. BGH, NJW 1983, 2030, 2032; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 320 Rn. 1), hat der neu bestellte Geschäftsführer der Klägerin vom Abschluss und Inhalt des hier streitgegenständlichen Kaufvertrages über das wesentliche Betriebsvermögen erstmals am 07.08.2007 erlangt. Mit Schreiben vom 21.08.2007 widerrief er sodann die Vollmachten für den bisherigen Geschäftsführer, erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Geschäftsführer der Beklagten auf, den Notar anzuweisen, die Eintragungsanträge (beim Grundbuchamt) zurückzunehmen. Er dokumentierte mithin seine Absicht, die Wirksamkeit des Kaufgeschäftes anzugreifen. Mit diesem Ziel stellte die Klägerin sodann den am 04.09.2007 beim Landgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die zunächst auf die Anordnung eines Erwerbsverbots gerichtet war und über die es in der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2007 zum Abschluss eines Teilvergleiches kam. Zugleich wurde nunmehr der Antrag auf Besitzeinräumung gestellt, über den die angefochtene Entscheidung erging. In diesen zeitlichen Abläufen - in der zwischen Kenntniserlangung und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung maximal vier Wochen lagen - vermag der Senat kein unangemessenes Zuwarten zu erkennen, dass den Verfügungsgrund entfallen ließe. Ob die Klägerin im Übrigen die Möglichkeit gehabt hätte, zuvor an anderer Stelle - vor dem LG Berlin - den diesbezüglichen Antrag zu stelle, ist für die Beurteilung des Verfügungsgrundes im hier streitgegenständlichen Verfahren irrelevant.
c)
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen und der nur in den bezeichneten äußerst engen Grenzen erlaubten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung einer ergangenen einstweiligen Verfügung kommt es auf die weiteren Ausführungen der Beklagten zu einer konkreten und unmittelbaren Gefahr der Existenzvernichtung (bei einem vorgeblich fehlenden Vollzugsinteresse der Klägerin) nicht mehr (entscheidend) an, da regelmäßig gegebene Vollstreckungsnachteile insoweit nicht gereichen (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., § 719 Rn. 6 m.w.N.), zumal die Anordnung der Sequestration (§ 938 ZPO) durch das Landgericht - unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 938 Rn. 4 und 7ff.; OLG Rostock, MDR 1996, 1183) - der Beklagten grundsätzlich eine Aussicht darauf schafft, den Besitz mit einer rechtskräftigen Entscheidung ungeschmälert wieder eingeräumt zu erhalten und eine erstrebte Verwertung fortzusetzen.
Nach allem ist der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen.
II.
Für die Bescheidung des weiter - hilfshilfsweise - gestellten Antrags auf Aufhebung gegen Sicherheitsleistung (§ 939 ZPO) ist derzeit kein Raum, da eine Entscheidung darüber aufgrund abgehaltener mündlicher Verhandlung durch Urteil zu ergehen hat (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 939 Rn. 2).
1.
Schon jetzt weist der Senat jedoch darauf hin, dass dem Antrag keine Aussicht auf Erfolg zukommen dürfte, da an ihn die gleichen strengen Anforderungen gestellt sind (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 939 Rn. 1 m.w.N.), wie sie vorstehend bezeichnet, aber nicht bejaht wurden.
2.
Die Beklagte kann auch nicht damit Gehör finden, der Erlass einer solchen Regelung sei jedenfalls deshalb geboten, weil es das Landgericht umgekehrt versäumt habe, den Erlass einer einstweiligen Verfügung von der Leistung einer Sicherheit durch die Klägerin abhängig zu machen, wie es aufgrund der Vorschrift des § 921 Satz 2 ZPO geboten gewesen wäre. Denn wie sich aus dem Wortlaut der angeführten Norm ("Es kann die Anordnung des Arrestes von einer Sicherheitsleistung abhängig machen, ...") ergibt, handelt es sich hierbei nicht um ein Gebot, sondern um eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung. Die Anordnung des Arrestes, wie auch die Anordnung der einstweiligen Verfügung, für die § 922 ZPO entsprechend gilt (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 922 Rn. 19; im übrigen § 936 ZPO), sind ohne weiteres vorläufig vollstreckbar (§ 929 ZPO), ohne dass es eines Ausspruchs darüber oder der Festsetzung einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Antragstellers bedarf (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl., § 922 Rn. 4).
Der Senat stellt deshalb anheim, den Antrag auf Aufhebung gegen Sicherheitsleistung (§ 939 ZPO) zurückzunehmen.
Ende der Entscheidung
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